Freiheit heißt Meinungsfreiheit
Vielen herzlichen Dank, liebe Canadian Journalists for Free Expression, vielen Dank an Sie alle!
Es ist mir eine große Ehre und Freude, hier bei Ihnen zu sein - wobei ich mir aber nicht sicher bin, ob das ein Grund zur Freude ist. Wenn man als chinesischer Staatsbürger einen Preis aus dem Ausland erhält, weiß man nicht, ob man sich freuen oder sorgen soll. Man selbst oder die Familie könnte dafür bestraft werden. In China wird ein Preis aus dem Ausland oft als vergiftetes Geschenk angesehen, das man entschieden zurückweisen soll, da die Ausländer immer einen Hintergedanken haben - für gewöhnlich den Sturz der chinesischen Regierung.
Wie ärgerlich, dass er den Ausländern nach all den Jahren immer noch nicht gelungen ist!
Freiheit, Frieden, Menschenrechte, Demokratie, Verfassungsstaat, Unabhängigkeit, Zivilgesellschaft - für diese furchteinflößenden Wörter sind einige der mutigsten Männer und Frauen in China ins Gefängnis gegangen: Wang Bingzhang (王炳章), Gao Zhisheng (高智晟), Liu Xiaobo (刘晓波), Ilham Tohti, Liu Xianbin (刘贤斌), Yao Wentian (姚文田), Dolma Kyab, Gulmira Imin, Kunchok Tsephel, Gheyret Niyaz, Hada (哈达), Liao Yiwu (廖亦武), Shi Tao (师涛), Hu Jia (胡佳), Xu Zhiyong (许志永), Tan Zuoren (谭作人), Chen Xi (陈西), Chen Wei (陈卫), Guo Feixiong (郭飞雄), Liu Yuandong (刘远东), Wang Mo (王默), Liu Ping (刘萍), Zhou Shifeng (周世锋), Hu Shigen (胡石根), Tang Jingling (唐荆陵), Wu Gan (吴淦), Wang Quanzhang (王全璋), Xie Yanyi (谢燕益), Li Heping (李和平) …
… und einige der glühendsten Verfechter dieser Werte sind für sie in den Tod gegangen: Wang Shiwei (王实味), Chu Anping (储安平), Lin Zhao (林昭), Yu Luoke (遇罗克), Zhang Zhixin (张志新), Li Wangyang (李旺阳), Cao Shunli (曹顺利) …
Wir sind heute Abend hier, um die Meinungsfreiheit zu feiern. Warum habe ich also die Namen so vieler politischer Gefangener in China verlesen? Weil in China die meisten politischen Gefangenen wegen ihrer Meinungsäußerungen kriminalisiert werden. Man mag sie wegen anderer angeblicher Straftaten verurteilt haben, aber sie hatten nichts anderes getan, als ihre Meinung zu vertreten.
Der politische Raum ist in China sehr eng und wird immer weiter eingeengt. Oppositionellen bleibt praktisch nur das Wort. Mit dem Wort fängt heute alles an. Vor allem Diktatoren wissen um die Macht des Wortes.
Deshalb wird in China jede unabhängige Stimme brutal unterdrückt. Deshalb hasst man die Demonstrationen in Hongkong. Deshalb übernimmt man Nachrichtenmedien in Taiwan. Deshalb verstärkt man seine Propaganda weltweit, vor allem in den westlichen Demokratien.
Man verlangt von allen chinesischen Medien, sich der Parteilinie zu unterwerfen. Man verweigert ausländischen Journalisten das Visum. Und man zwingt Facebook, eine Mauer zu bauen und dafür zu zahlen.
Donald Trump, der ebenfalls eine Mauer bauen will, sollte bei Chinas Machthabern in die Lehre gehen. Vielleicht rühmt ihn Premierminister Trudeau dann auch als "bemerkenswerten Führer".
Können Sie mir folgen? Wenn nicht, macht das nichts. Die chinesische Regierung gibt Ihnen jederzeit Nachhilfe. Lektion 1: Wem die Stunde schlägt. Außenminister Wang Yi hat sich bei seinem Besuch in Kanada im Juni ganz klar ausgedrückt: "Sie haben kein Recht, über unsere Menschenrechtslage zu sprechen. Nur das chinesische Volk hat das Recht dazu." Die Wahrheit ist aber, dass das chinesische Volk seine Meinung niemals frei äußern kann.
Ich kämpfe für die Meinungsfreiheit. Man fragt mich oft, warum ich es mir so schwer mache. Ich sage dann immer: Ohne Meinungsfreiheit gibt es keine Zivilisation. Freiheit heißt immer auch Meinungsfreiheit. Wenn wir nicht für die Meinungsfreiheit kämpfen, verlieren wir unsere Freiheit ganz.
Meine siebenjährige Tochter liebt Museen. Einmal sagte sie zu mir: "Papa, du darfst nicht noch schöner werden, sonst sperren sie dich in ein Museum." Damit meinte sie: Papa kann alles, außer so gut Deutsch sprechen wie sie. Sie weiß aber nicht, dass ich ihr nicht sagen kann, warum wir nicht nach China zurückkehren können. Wie soll ich ihr erklären, dass die Menschen an vielen Orten nicht einmal sagen dürfen, was sie wollen?
Meiner Mutter und meinem Vater in der chinesischen Provinz Sichuan möchte ich noch sagen: Schade, dass ihr an diesem schönen Abend nicht bei mir sein könnt. Ihr wart immer stolz auf mich, aber ich kann euch noch nicht einmal von meinem Preis erzählen. All meinen Lieben in China sage ich: Ich habe den Kontakt zu euch abgebrochen, eben weil ich euch liebe.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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